BIBIS – STORIES
BIBIS – 
STORIES
Das ist das Cover von Besessen

Leseprobe

Besessen

Roland richtete sich reflexartig auf und sah sich panisch um. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Seine Wohnung lag in absoluter Finsternis vor ihm, nichts regte sich, aber sein Gefühl sagte ihm klar und deutlich, dass er etwas verpasst hatte. Etwas Wichtiges! Was hatte ihn geweckt? ... Ein Geräusch? Mögliche Szenarien aus seinem Egoshooter beherrschten sofort seine Gedanken. Sein Herz raste und er versuchte anständig wach zu werden. Sein Kopf dröhnte, ein Blick auf die Uhr verriet, dass er noch nicht lange geschlafen hatte. Es war vier Uhr Morgens und er erneut zu spät ins Bett gefallen.
Bildete er sich das ein? Da war ein seltsames Kratzen zu hören. Mit angehaltenem Atem drückte er sich leise aus seinem Bett und wollte zur Tür schleichen. Erneut war ein eigenartiges Geräusch zu hören. Kein Wunder, dass sein erster Gedanke ein Egoshooter war ... Ein Schuss?! ... Es hörte sich fast so an, als ob jemand auf seine Wohnung schoss... Sein Kopf versuchte sofort eine rationale Antwort zu finden, das war das echte Leben und kein verdammtes Computerspiel! ... Die Nachbarn sahen Fern. Das musste es sein. ... Aber sein Gefühl warnte ihn ... er vertraute auf sein Gefühl und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Im Nebenzimmer krachte es und etwas Schweres ging zu Boden. Zwischen dem Schuss und eben waren höchstens drei Sekunden vergangen. Verdammt ... er hatte seine Dienstwaffe nicht weggeräumt, sie lag immer noch auf der Couch! Gegen sein besseres Urteilsvermögen riss er die Tür auf und lief in sein Wohnzimmer. Das Fenster war offen und die Vorhänge wehten im Wind, ließen etwas Straßenlaternenlicht ein. Am Boden entdeckte er Blut ... es war nicht viel, aber ... Gott verdammt!! Träumte er noch? Sollte er wegrennen?
Er schluckte schwer hinunter, seine Kehle war staub trocken. Sein Blick huschte durch sein finsteres Wohnzimmer und er fuhr sich nervös durch sein blondes Haar. War er wach?
Jemand hämmerte gegen seine Wohnungstür, versuchte sich Zutritt zu verschaffen. Er drehte dem Wohnzimmer den Rücken zu und lief ins Vorzimmer. Schlagartig hielt er inne. Was sollte er tun? Seine Gedanken überschlugen sich, kalter Schweiß brach ihm aus. Was ging hier vor?? War die Gefahr hier drinnen oder da draußen?! Sollte er versuchen raus zu kommen oder sich in seinem Zimmer verbarrikadieren?!
Bevor er eine Antwort finden konnte, wurde die Wohnungstür aufgerissen und vier vermummte Männer stürmten herein. Sie trugen keine Uniform, waren aber zur Gänze in schwarz gekleidet. ... Sie waren bewaffnet ... Das nahm ihm jede Option. Kämpfen kam nicht in Frage, gegen Schusswaffen sahen seine Chancen nicht gut aus. ... Warum hatte er seine verdammte Dienstwaffe nicht geholt?
Der Blick des ersten fiel auf ihn und dessen Augen weiteten sich. Roland wünschte sich, nicht so groß zu sein. Er wollte nicht einschüchternd wirken und schon gar nicht als Gefahr eingestuft werden, wenn der andere eine Schusswaffe hatte. Er hob die Hände nur auf Schulterhöhe und wich einen Schritt zurück. Nur nicht noch größer wirken!
„Zivilist!“, tat ihn der Erste schnell ab und lief an ihm vorbei, weiter in seine Küche.
Zivilist? ... Was erwarteten sie hier in seiner Wohnung zu finden?
Einer der vier Männer blieb bei ihm stehen und deutete ihm still zu sein. Die Wohnungstür wurde geschlossen und versperrt. Roland versuchte die Situation zu begreifen. Vor ihm stand eine vermummte Gestalt mit einer Waffe. Ob sie echt war? Es war zu finster, um das mit Sicherheit zu sagen. Er hatte einen Schuss gehört ... besser er ging davon aus. Die Waffe war nicht auf ihn gerichtet, sondern auf den Boden. Größe und Statur ließen auf einen Mann schließen ... er war sichtlich nervös, trat immer wieder von einem Bein auf das andere, versuchte in den hinteren Teil der Wohnung zu blicken. Es war offensichtlich, dass er nicht bei ihm warten wollte. ... Was suchten die?? Warum wurde er völlig ignoriert und als harmlos abgetan? Für gewöhnlich verursachte er genau die gegenteilige Wirkung mit seinem Auftreten. Er war größer als die meisten, hatte breite Schultern und durchtrainiert. Wenn er einen fremden Raum betrat und finster drein blickte, wichen alle erst mal einen Schritt zurück.
Roland hörte eine Tür gegen die Wand knallen ... ob jemand der Nachbarn so schlau war, die Polizei zu rufen? Das konnte doch nicht unbemerkt bleiben!
„Zivilist!“, hörte Roland die selbe Stimme wie zuvor rufen.
Noch einer? ... Roland zog die Stirn in Falten. Er lebte alleine.
„Keine Sorge, alles gut“, flüsterte ihm der Mann leise zu.
So? Sah nicht danach aus.
„Bring ihn ins Schlafzimmer!“, forderte eine andere Männerstimme seinen Bewacher auf.
Dieser deutete ihm zu gehen. ... Die Waffe zeigte immer noch Richtung Boden. Gegen einen hatte er eine Chance ... die anderen waren nicht hier. ... Aber er war sich unsicher, ob er es schaffen konnte, den einen kampfunfähig zu machen, bevor die anderen herbeigeeilt waren. Und er wollte nicht angeschossen werden, bei dem Versuch aus der versperrten Wohnung zu entkommen.
Angespannt und immer noch mit erhobenen Händen, ging er langsam an dem Mann vorbei und in seine Küche. ... Seine Schränke wurden gerade durchsucht ... Pfannen lagen am Boden, der Kühlschrank stand offen. Was suchten sie? Sein Wohnzimmer sah nicht viel besser aus. Decken und Pölster lagen am Boden, sie hatten die große Couch auseinandergenommen. ... Das Fenster war jedoch wieder geschlossen und am Boden kein Blut mehr zu sehen. Hatte er sich das eingebildet?
„Waffe!“, verkündete einer der Männer, der seine Wäsche gerade durchsucht hatte.
Alle Blicke richteten sich auf ihn und er murmelte leise: „Ich bin Polizist ... das ist meine Dienstwaffe.“
„Ausweis?“, wollte ein anderer sofort wirsch wissen.
„Dort drüben, am Schreibtisch ...“, antwortete er und fragte sich verzweifelt, ob sich seine Chance zu überleben gerade verschlechtert hatte.
Einer der Männer stand in der Tür zu seinem Schlafzimmer und winkte ihn herein.
„Du kannst die Hände runter geben. Das ist nicht nötig. Du machst einen vernünftigen Eindruck und wirst sicherlich keine Dummheiten vor deiner Freundin machen. Setz dich zu ihr“, forderte ihn der Mann auf und deutete zu seinem Bett.
Roland versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. In seinem Bett saß Anna ... nackt? Sie hatte sich den Deckenüberzug mit dem er schlief, bis zur Nasenspitze hochgezogen. Ihr Gesicht war blass und ihre dunklen Augen viel zu groß. Sie hatte panische Angst.
„Hinsetzen, keine Angst haben, ruhig bleiben“, wies ihn der Mann streng an.
Roland setzte sich wie ferngesteuert auf sein Bett. Anna rutschte an ihn heran, versteckte sich hinter ihm. Er konnte sie atmen hören. Sie war in Panik. Suchten diese Leute sie? Warum ignorierten sie diese dann? Wie war sie in seine Wohnung gekommen? Warum war sie nackt?!!
Nach weiteren drei Minuten in denen er Schranktüren auf und zufallen hörte, tauchte ein Mann in der Tür auf und präsentierte seine zwei Meerschweinchen.
„Sie wird sich kaum in die da verwandelt haben“, brummte der Mann, der wohl das Sagen hatte, tief durchatmend. Dann wandten sich alle Blicke ihnen zu ... das passte Roland überhaupt nicht.
„Ist dir irgendetwas Seltsames aufgefallen?“, sprach ihn der Gruppenführer an.
Roland leckte sich über die Lippen und sah die Männer vielsagend an.
„Bis auf uns. War irgendetwas, bevor wir hier ankamen?“, verbesserte dieser sich schnell.
„Ich habe geschlafen. Ein Schuss hat mich geweckt“, murmelte Roland leise.
Seine Zunge fühlte sich taub an und atmen fiel ihm schwer. Er sagte sich, dass er ruhig bleiben musste. Der vermummte Mann nickte enttäuscht und deutete den anderen zu gehen. Roland schnappte die Anweisung auf, dass die anderen Stockwerke abzusuchen seien, einer der Männer hätte etwas beim Treppenaufgang gesehen.
„Verzeih die Störung. Hier Geld, falls Schäden entstanden sind. Du möchtest gewiss keine weiteren Schwierigkeiten. Vergiss einfach, was heute Nacht passiert ist und wir müssen nicht wieder kommen“, brummte der vermummte Mann und zog aus seiner Jackentasche 500 Euro heraus.
„Ich will das Geld nicht“, sagte Roland sofort.
„Dann wirfs beim Fenster raus. Mir egal“, meinte der Fremde und ging.
Roland blieb wie versteinert auf seinem Bett sitzen, bis er die Eingangstür zu seiner Wohnung ins Schloss fallen hörte. Dann stand er auf, deutete Anna still zu sein und ging ins Vorzimmer. Sicher war sicher. Nein, niemand mehr hier, der sie belauschen könnte. Seine Dienstwaffe und der Ausweis lagen auf dem Schuhschrank. Er ließ sie dort liegen. Die vermummten Männer sollten keinen Grund haben ihn ins Visier zu nehmen.
Als er zurück in sein Schlafzimmer kam, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass sich auch Anna in Luft aufgelöst haben würde. Aber sie war nur aufgestanden. Seine Decke hielt sie immer noch um sich geschlungen. Zumindest schien sie Unterwäsche zu tragen. Er konnte einen schwarzen BH-Träger ausmachen. Ihre Augen waren immer noch viel zu groß und ihre Wangen gerötet. In ihren Augen, war er wohl nun das Problem.
„Hey, sieh mich nicht so an. Das ist meine Wohnung! Ich erwarte Antworten“, knurrte er und schnappte sich eine bequeme Hose und ein Shirt.
Sie mussten nicht beide in Unterwäsche rumlaufen. Das Shirt war von gestern Abend ... es roch nach Rauch und die Hose war an einer Stelle klebrig. Egal. Alles war besser als in Boxershorts vor ihr zu stehen.
Doch sie starrte ihn nur an. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass sie weg wollte. Ihr Blick wanderte zum Fenster. Was? Das Fenster war ihr als Fluchtmöglichkeit lieber, als die Tür? ... Er befand sich im dritten Stock. Andererseits im Stiegenaufgang trieben sich womöglich immer noch diese vermummten Gestalten herum. Für den Moment würde sie wohl bleiben müssen. ...
„Bist du über das Fenster eingestiegen??“, fragte er plötzlich, als ihm bewusst wurde, dass sie das Fenster ernsthaft in Erwägung zog.
Ihre Lippen wurden schmal. Rolands Blick wanderte an seinem dunkelblauen Deckenüberzug langsam hinab. Da war eine Stelle etwas dunkler als der Rest. „War das dein Blut im Wohnzimmer?“, wollte er leise wissen.
Erneut bekam er keine Antwort, aber ihr Kinn hob sich genervt und sie veränderte ihre Stellung. Sie wollte hier weg, er war ihr im Weg ... lachhaft. Dachte sie ernsthaft, sie würde an ihm vorbeikommen?
„Setz dich hin, ich schau mir das an“, versuchte er die Situation zu entschärfen, aber binnen eines Herzschlages veränderte sich das blasse Mädchen.
Ein Schatten überzog ihre Haut, mehr bekam er nicht zu sehen. Sie hatte sich ihm entgegenkatapultiert und bei dem Versuch nach ihr zu schnappen, bekam er nur die Decke zu fassen, die sie ohne Gegenwehr einfach aufgab. Sie stürmte an ihm vorbei, versetzte ihm einen kräftigen Stoß in die Seite, so dass er zu Boden stürzte und machte sich an dem Fenster zu schaffen.
Als Roland keuchend hochkam, blieb ihm die Luft weg. An seinem Fenster stand nicht länger ein blasses Mädchen, sondern eine dunkle Gestalt. Ihre nackte Haut war grau ... nicht ebenmäßig, sondern eher gefleckt. Zwei Flügel, wie die einer Fledermaus, waren halb geöffnet. Ihre Fingerklauen die sich panisch an seinem Fenster zu schaffen machten, ließen das Holz splittern. ... Sie war derart in Panik, dass sie nicht mal mehr wusste, wie ein Fenster zu öffnen war. Im Moment wäre es ihm aber ganz recht gewesen, wenn sie das geschafft hätte.
Sie trug schwarze, blickdichte Unterwäsche ... die sah im Vergleich zum Rest von ihr, normal aus. Ein Teil von ihm fragte sich, ob er eventuell immer noch träumte. Oder womöglich hatte ihm jemand etwas ins Getränk getan? Realität war das jedenfalls nicht. ... Seltsam. Die Seite, wo sie ihn gestoßen hatte, die tat weh. Ein kleines Mädchen wie sie, konnte wohl kaum genug Kraft besitzen ihn umzurennen. Und bewaffnete Männer würden wohl kaum seine Wohnung stürmen und Geld zurücklassen. ... Und doch stand er hier neben seinem Bett, seine Wohnung um ihn herum war verwüstet und er betrachtete ein eigenartiges Wesen, wie es verzweifelt versuchte ein dummes Fenster zu öffnen. Sie blutete am Bein. Es sah nicht weiter schlimm aus ... aber sie saute ihm damit den Parkettboden ein. Ob es etwas brachte, sie darauf hinzuweisen?
Das Fenster ging auf und das Wesen stürzte sich ohne zu zögern hinaus. Zaghaft ging er zu dem Fenster und blickte nach unten. Weder sah er dort einen zermatschten Körper noch irgendwelche Personen in schwarzer Kleidung mit Waffen herumfuchteln.